Kunst und Kultur gegen den Strom

Unangepasst. Mutig. Verbindend.

Wir setzen dem Great Reset des Weltwirtschaftsforums ein We, ein Wir, entgegen. Die Reihe The Great WeSet widmet sich der Gegenöffentlichkeit, die sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens formiert hat.

Im dritten Band stellt Eugen Zentner Alternativen im Kunst- und Kulturbetrieb vor.

Kunst und Kultur gilt als Korrektiv gesellschaftlicher Fehlentwicklungen. Wo soziale und staatliche Institutionen versagen, muss ihnen pointiert und ausdrucksstark der Spiegel vorgehalten werden. Künstler und Kulturschaffende sind nicht bloß Unterhalter, sie sind Kommentatoren der Zeit. Sie sind Mitgestalter, Rebellen, Brückenbauer und Friedensstifter. Von diesem Selbstverständnis haben sich die heutigen Künstler jedoch weit entfernt, zumindest diejenigen, die im sogenannten Mainstream Bekanntheit genießen. Das hat strukturelle Gründe. In dieser Arena kann nur überleben, wer nicht aufbegehrt, wer der Regierungspolitik treu bleibt und sich zur herrschenden Ideologie bekennt. Eine Abweichung reicht mittlerweile aus, um aus dem Rampenlicht verdrängt zu werden. Das Stichwort lautet „Cancel Culture“.

Seit der Corona-Politik grassiert sie in einem zunehmend höheren Tempo. Für Kunst und Kultur ist das fatal. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Einige Künstler lassen sich nicht einschüchtern. Sie machen das, was man von ihnen erwartet. Sie passen sich nicht an, sie üben Kritik an den Missständen und erheben ihre Stimme, so laut, dass sie in der Öffentlichkeit trotz Cancel Culture nachhallt.

In den letzten vier Jahren hat sich eine pulsierende Kulturszene herausgebildet. Der Journalist Eugen Zentner stellt sie in seinem Buch vor. Entlang der Bereiche Kabarett, Musik, Kunst und Literatur zeigt er mit teilweise prägnanten Werkanalysen, welche Themen diese mutigen Künstler beschäftigen, welche Ausdrucksformen sie wählen und was sie antreibt. Es ist eine erbauliche Bestandsaufnahme, eine fulminante Einführung in einen Bereich der außerparlamentarischen Opposition, in dem die Akteure Gegenöffentlichkeit mit den Mitteln der Kunst betreiben.

 

Rezensionen

Hölderlin hat aber recht: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Die Menschen, die sich seit Anfang 2020 fanden, haben eine neue Szene produziert – Spaß- und Liedermacher, Rocker und Poeten, Fotografen und schreibende Maler. Ein kleiner Verlag aus München setzt ihnen allen nun ein Denkmal und bietet damit zugleich Orientierung für all die, die noch nicht wissen, wem sie nun Augen, Ohren, Köpfe schenken sollen.

Zentner, ein promovierter Literaturwissenschaftler, hat einst für die dpa geschrieben, dann die Seiten gewechselt, sich dabei aber nicht festlegen wollen auf „links“ oder „rechts“. Dieser Rundumblick tut dem Buch gut. Wie gesagt: „The Great We Set“ läuft.

Die neue Kunst, Michael Meyen (Manova)

In dem Band „Kunst und Kultur gegen den Strom“ schreibt der Autor mit viel Respekt und Anerkennung von denen, die in solchen widrigen Zeiten aktiv geblieben sind und sich gegen den Wind gestellt haben: die „Helden“ unserer Zeit sozusagen.

Was Zentner zusammengetragen hat, kündet auch von Hoffnung und Optimismus, dass die Kraftanwendung auch Früchte bringt. Und wenn man in der rauen Zeit nicht allein ist, sind zumindest die Hindernisse und die Widerstände besser auszuhalten – oder ist vielleicht auch mehr möglich?

Künstler als außerparlamentarische Opposition, Éva Péli (NachDenkSeiten)

Buchempfehlung
Buchtipp: Verbotene Kunst
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Die neue Kunst - manova

 

 

Autor

Eugen Zentner

Eugen Zentner

Eugen Zentner, Jahrgang 1979, studierte Germanistik und Philosophie in Leipzig. 2016 promovierte er in Oldenburg in der Literaturwissenschaft zum Thema Autofiktion. Ein Jahr darauf absolvierte er in Berlin eine Ausbildung zum Drehbuchautor.

Zentner lebt in Berlin und arbeitet seit 2016 als freier Kulturjournalist. Er schrieb unter anderem für die Deutsche Presse-Agentur, den Musikexpress und den Schweizer Monat. Während der Corona-Krise wechselte er in den Bereich der alternativen Medien. Seine Beiträge erscheinen regelmäßig bei den NachDenkSeiten, apolut und Transition News. Zudem arbeitet Zentner als Nachrichtenredakteur für den Radiosender Kontrafunk. 2020 begann er den Blog kultur-zentner.de, auf dem er die im Zuge der Corona-Krise entstandene alternative Kulturszene aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet.

 

Leseprobe

Einleitung

In Krisenzeiten sollte die Kunst- und Kulturbranche eigentlich auf Missstände hinweisen. Sie sollte den Finger in die Wunde legen, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und mit Kassandrarufen vor Fehlentwicklungen warnen. Sie sollte aufbegehren und anklagen, aber auch nach Lösungen suchen und Utopien entwerfen. Einfluss und Wirkmacht von Künstlern sind groß, sie müssen sie nur nutzen. Dass sie das während der Corona-Krise tun würden, darauf hofften viele Menschen lange vergebens. Wer die Maßnahmenpolitik seit März 2020 als zu hart und unverhältnismäßig ansah, ersehnte ein gewaltiges oder doch wenigstens irgendein Echo aus der Kulturbranche. Schließlich war sie von den Einschränkungen selbst besonders stark betroffen: Vom Staatstheater bis zur Kleinkunstbühne, vom Konzertsaal bis zum Liveclub mussten sämtliche Spielstätten von einem Tag auf den anderen schließen. Festivals und Tourneen wurden abgesagt.

Wer in einer Kulturstätte fest angestellt war, hatte immerhin eventuell Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Freiberufliche Künstler hingegen mussten nach Wegen suchen, wie sie ihren Lebensunterhalt sichern konnten. Für sie kamen die Einschränkungen einem Berufsverbot gleich. Angesichts dieser misslichen Lage wurde erwartet, dass die Kunstwelt ein lautes Signal senden würde. Statt aber ihre Stimme zu erheben, blieben die meisten Künstler still. Statt die Regierung dafür zu kritisieren, dass die Grundrechte außer Kraft gesetzt worden waren, redeten sie ihr nach dem Mund. Sie ließen sich für Werbekampagnen einspannen, halfen mit bei der Diffamierung von Maßnahmenkritikern, versuchten ihre Karriere durch konformes Verhalten zu retten. Andere gingen in die innere Emigration. Sie schwiegen und tauchten ab, um die Krisenzeit möglichst unbeschadet zu überstehen.

Wer durchblicken ließ, mit der Maßnahmenpolitik nicht einverstanden zu sein, wurde medial zerrieben – selbst wenn die Kritik zaghaft und nur in Andeutungen daherkam. An ansatzweise Aufmüpfigen klebten sofort Etiketten wie „Corona-Leugner“, „Verschwörungstheoretiker“, „Querdenker“ oder „Schwurbler“. Vielen etablierten Künstlern dürfte zu jener Zeit bewusst geworden sein, dass sie nur im Kollektiv aufbegehren konnten. So schlossen sich relativ spät 53 namhafte Schauspieler und Filmschaffende aus Deutschland zusammen, um mit der Aktion #allesdichtmachen ein Zeichen zu setzen. Unter den Teilnehmern waren Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Wotan Wilke Möhring, Meret Becker, Ulrich Tukur und Nadja Uhl. Es war die Crème de la Crème der hiesigen Schauspielszene, die in Einzelvideos auf ironische und sarkastische Weise die Corona-Politik genauso hinterfragte wie die mit ihr verbundene „Diskussionskultur“.

#allesdichtmachen weckte in der Bevölkerung große Hoffnung: Endlich trauten sich berühmte Künstler, ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit und undemokratische Maßnahmen zu erheben. Aber die Aktion verpuffte schneller als erwartet. Nach einem medialen Shitstorm ruderte rund die Hälfte der Schauspieler zurück und distanzierte sich von den eigenen Aussagen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gaben unzufriedene Bürger auf, ihre Hoffnung in die Künstlerprominenz zu setzen. Für sie hatte die Kulturlandschaft auf weiter Strecke versagt. Dieser Eindruck hält sich bis heute.

In der Zwischenzeit wurde die Corona-Krise von weiteren Krisen abgelöst, aber gewisse Muster sind geblieben. Wer bei Themen wie Klima, Gender-Politik oder Ukrainekrieg vom Mainstream abweicht, bekommt Gegenwind. Andersdenkende werden aus dem Debattenraum verbannt, sie werden beschimpft und bei fortdauernder Renitenz existentiell vernichtet. Der autoritäre Geist feiert in Deutschland ein Comeback und durchdringt mit Riesenschritten alle Institutionen, auch die Kulturbranche. Wer als etablierter Künstler auch nur einmal von der herrschenden Meinung abweicht, bringt seine Karriere in Gefahr: Man wird nicht mehr zu Talkshows eingeladen, nicht interviewt, muß mit Vertragskündigungen und dem Ausbleiben von Aufträgen rechnen. Diese Art der subtilen Bestrafung ist heute unter dem Begriff „Cancel Culture“ bekannt. Sie schreitet derart rasend voran, dass Künstler ihren Beruf zunehmend mit einer Schere im Kopf ausüben. Es fällt immer mehr auf, wie bereitwillig die meisten heute den Mächtigen nach dem Mund reden. Von der rebellischen Attitüde früherer Jahre ist nicht viel übrig. Statt die Obrigkeit in Politik und Wirtschaft für ihr Fehlverhalten zu rügen und zu verspotten, statt also nach oben zu treten, tritt man nach unten – gegen alle, die sich den offiziellen Narrativen nicht fügen wollen.

Wer der Cancel Culture zum Opfer fällt, dem bleibt nur die Flucht in eine alternative Kulturszene. Die wächst zum Glück recht schnell. Das ist die positive Botschaft. Infolge der sozialen Verwerfungen der Krisenzeit haben sich in der Kulturbranche parallele Strukturen herausgebildet. Von ihnen erzählt dieses Buch. Die Alternativen in Kunst und Kultur sind auf zweierlei Weise zu verstehen: Sie ergeben sich einerseits für die Künstler selbst, weil neue Medien, neue Kulturwettbewerbe oder neue Auftrittsmöglichkeiten entstehen. Andererseits ergeben sich auch Alternativen für Rezipienten, die von der Kultur erwarten, dass sie gerade in Krisenzeiten als Korrektiv fungiert. Diese Leerstelle füllen mittlerweile zahlreiche Newcomer und professionelle Künstler, die zuvor meist im Hintergrund agierten. Sie erheben ihre Stimme und scheuen sich nicht, unangenehme Themen anzusprechen, ob in der Musik, im Kabarett, in der Literatur oder in der bildenden Kunst. Gattungs- und genreübergreifend sind in den letzten Jahren zahlreiche Werke entstanden, die sich kritisch mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzen und die offiziellen Narrative gegen den Strich bürsten. Formal und inhaltlich gibt es durchaus Schnittmengen, allerdings auch Abweichungen im Ton und in den Botschaften: Manche Künstler klagen an, andere bauen Brücken. Mal spielen sie mit Humor, mal beschreiben sie die Verhältnisse in einer melancholischen Sprache. Es lassen sich experimentelle Ansätze finden, aber auch konventionelle. Die Spannbreite des künstlerischen Ausdruckswillens wächst im gleichen Tempo wie das Arsenal der Meinungswächter, die auch diese Künstler zum Schweigen bringen wollen. Wie den Schauspielern der #allesdichtmachen-Aktion bläst ihnen Gegenwind ins Gesicht. Sie werden diffamiert und bisweilen strafrechtlich verfolgt. Auftritte werden kurzfristig abgesagt, Hallenmietverträge gekündigt, Videos gelöscht – auf bestimmten Online-Portalen dürfen sie ihre Werke nicht veröffentlichen.

Entmutigen lassen sich diese Künstler aber nicht, so widrig die Arbeitsbedingungen sein mögen. Sie zeigen einen langen Atem und produzieren munter weiter, in der Hoffnung, zur gesellschaftlichen Veränderung beizutragen. In der außerparlamentarischen Opposition werden sie dafür verehrt und bewundert. Manche Künstler erfreuen sich einer wachsenden, treuen Fangemeinde. Sie werden häufig gebucht und gehen auf Tour. Wer schon vor Corona als freischaffender Künstler tätig war, empfindet die neuen Auftrittsbedingungen als angenehm – trotz Cancel Culture: Man spielt immer noch auf Kleinbühnen und bisweilen vor einem kleineren Publikum, aber vor einem, das die gleiche Einstellung und Weltsicht teilt. Das Gemeinschaftsgefühl spornt sie an; es gibt ihnen Kraft und setzt kreative Energie frei.
Außerhalb des Mainstreams lässt es sich zumindest stellenweise sehr wohl aushalten. Das bestätigen selbst große Namen, die früher im Rampenlicht standen. Spürten sie dort den Druck vorherrschender Sprachregelungen, so fühlen sie sich in der alternativen Kulturszene frei. Hier können sie ganz sie selbst sein, können sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Sie können ihre Kunst ausleben, ohne sich selbst zu zensieren. Manch eine totgeglaubte Karriere wird wieder angekurbelt. Mancher Künstler erlebt einen zweiten Frühling, weil er wieder Menschen erreicht, positives Feedback erhält, seine Kunst neu lieben lernt.

Das gilt erst recht für Newcomer, von denen nicht wenige zu ihrem einstigen Hobby zurückgefunden haben und es nun zu professionalisieren versuchen, indem sie das Potential der entstandenen alternativen Strukturen nutzen. Die Erfolgreichen unter ihnen genießen überregionale Bekanntheit. Und auch wenn sie oftmals von ihrer Kunst nur spärlich leben können, erhalten sie Wertschätzung, die manchmal mehr wert ist als Geld. Auf neuen Konzertreihen und Festivals treffen sie andere Künstler, Kollegen mit kritischem Geist und unangepasster Haltung, sodass im Anschluss nicht selten Kooperationsprojekte entstehen. Man vernetzt sich und inspiriert sich gegenseitig. Das kommt allen Beteiligten zugute. Wenn die alternative Kulturszene floriert, profitieren davon nicht nur Veranstalter und Künstler, sondern alle Menschen in der außerparlamentarischen Opposition. Auch sie wollen keine Kunst mehr, die sich ausschließlich an der herrschenden Meinung orientiert. Wie in anderen Gesellschaftsbereichen sehnen sie sich nach Vielfalt, nach künstlerischen Darbietungen, die aus dem Einheitsbrei hervorstechen, die überraschen und fesseln, Gefühle wecken und zum Nachdenken bringen. Die das Verbotene wagen und provozieren. Kunst ist nicht nur Unterhaltung. Sie hat auch die Gabe, Kraft zu verleihen und Trost zu spenden, gerade in so schweren Zeiten wie diesen. Die hier vorgestellten Künstler und Institutionen tun das auf ihre je eigentümliche Weise – so unermüdlich wie beherzt.